Wir sind relevant Kampagne – mehr >>>
Pandemie-Gap
Tanja Dückers
Schriftstellerinnen und Journalistinnen sind relevant. Noch immer verdienen sie deutlich weniger Geld als ihre männlichen Kollegen, wie eine großangelegte Studie, die der Deutsche Kulturrat im Auftrag der Bundesregierung herausgegeben hat, bestätigte („Frauen in Kultur und Medien“, Hg. Gabriele Schulz, Carolin Ries, Olaf Zimmermann, Kapitel „Der Gender Pay Gap ist ungebrochen“, Seite 43ff). Insbesondere selbstständige Frauen verdienen weniger im Vergleich zu ihren Kollegen. Dass ausgerechnet die als progressiv geltende Kultur- und Medienbranche noch schlechtere Egalitätswerte produziert als die klassische Männerdomänen wie die Auto- und Technologiebranche sollte zu denken geben. Wo es noch mehr auf individuelles Ellenbogenverhalten ankommt und weniger Regularien gibt, scheint die Situation für Frauen, hippe Szene und emanzipatorisches Gerede hin oder her, besonders ungünstig zu sein.
Die Corona-Krise nun macht soziale Ungleichheit noch deutlicher sichtbar. Die Lage hat sich verschärft, weil Frauen einen weitaus größeren Teil der Versorgung von Kindern und älteren Angehörigen im Lockdown übernehmen als Männer. Schriftstellerinnen und Journalistinnen, die Kindergarten-Kindern oder schulpflichtigen Nachwuchs haben, fallen durch den Lockdown in ihrer Produktivität und in ihren Einnahmen noch weiter zurück.
Das betrifft auch die zwischen den Geschlechtern. Seit Beginn der Corona-Krise sind es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, vor allem männliche Intellektuelle, die von den Medien sowie den Verlagen um Krisendeutung gebeten werden.
Mansplaining auch in Corona-Zeiten
Wieder einmal treten Frauen, wenn sie vors Mikro geholt werden, eher als „Betroffene“ auf („Wie machen Sie das denn jetzt mit dem Homeoffice und dem Homeschooling?“), Männer hingegen als Erklärer. Sie sind es nun, die, eigentlich genauso im Dunkeln tappend wie ihre Kolleginnen, zu großen globalpolitischen Mutmaßungen ausholen und entweder den Virologen-Insider oder den Politikberater mimen. Viele dieser Überlegungen sind erratisch und nach zwei Wochen wieder Matsch (Schnee gibt es ja nicht mehr!) von gestern. Doch an Selbstbewusstsein, um mal schnell zu Kritik an „den Virologen“ und „der Bundesregierung“ auszuholen, fehlt es nicht. Es wundert nicht, dass sich unter den vielen „Anti-Corona-Demonstranten“ deutlich mehr Männer als Frauen finden. Besserwissertum ist eher männlich.
Es gibt weniger zu verteilen, und bei dem, was es zu verteilen gibt, werden vorwiegend nur die schon arrivierten, altbekannten Namen und Gesichter bedacht. Und das sind nach wie vor viel mehr Männer als Frauen. Die verschärfte Konkurrenzsituation bedeutet, dass es weniger auf Gedankentiefe, Originalität und Sensibilität in der jeweiligen künstlerischen Disziplin ankommt als auf ein großes Ego, auf „Kontakte“ und – ganz wichtig – Zweifelsfreiheit. Wer sich nicht sicher ist, ob die eigenen Ideen für einen Essay über die EU „nach Corona“ wirklich ausgegoren sind, ob man nicht ein paar Monate abwarten sollte, bevor man schon jetzt ein Buch über die sozialpolitischen Folgen von Corona veröffentlicht oder ein Statement darüber, was die Schulen „nach Corona“ alles unbedingt anders machen sollten, der hat das Nachsehen. Schnell schießen ist angesagt, Thesen- und Meinungsfreudigkeit. Und da tun sich Frauen immer noch schwerer als ihre männlichen Kollegen. Wer zaudert und zögert, der kommt nicht dran. Natürlich besteht diese Konkurrenzsituation auch zwischen Vertretern des gleichen Geschlechts und betrifft auch die leiseren Männer. Einen Castorf hört man immer poltern.
Eine Aufgabe der Medien wäre, gezielt die Intellektuellen, die Expert*innen und Kulturschaffenden anzusprechen, die sich nicht nach vorn drängen und doch manchmal mehr zu sagen haben. Gerade, wenn sie derzeit zwischen Homeoffice und Homeschooling hin- und hergerissen sind. Und erst recht, wenn sie nicht gleich eine wasserdichte Theorie dazu haben, wie die Welt „nach der Pandemie“ aussehen wird.
Es ist schwierig, Prophezeiungen abzugeben, aber eine Annahme für die postpandemische Zeit, die nicht verkehrt sein dürfte, ist:
Es werden die übrigbleiben, die vor dem Frühjahr 2020 schon fest im Sattel saßen. Diejenigen werden aufgeben, die für kleinere Verlage, Zeitungen, Magazine, Sender, Theater- und Konzerthäuser, Filmproduktionsfirmen, Bühnen, Galerien, Art Spaces und andere Kultur-Räume sowie temporäre Kunst-Projekte arbeiten bzw. von diesen vertreten werden. Und das sind nach wie vor viel mehr Frauen.
© Tanja Dückers, Berlin, im Juni 2020 + im Februar 2021
Einige Gedanken und Passagen aus diesem Text entstammen meinem Essay „Sie leidet, er deutet“ in der von Franziska Richter herausgegebenen Anthologie „Echoräume des Schocks. Reflex. Wie uns die Corona-Zeit verändert. Reflexionen Kulturschaffender und Kreativer“, die im letzten Jahr im Dietz Verlag erschienen ist.